„Leaving the trees (or perhaps the ocean) may have been our first mistake, but certainly wasn’t our last“.
James Montier
Vernunft und Ratio sind uns bekanntermaßen nicht eigen, denn wir sind Menschen aus Fleisch und Blut, mit Herz und Kopf.
Hin und wieder oder des öfteren treffen wir unvernünftige Entscheidung und im Nachhinein sind wir meistens klüger. Wir entscheiden auf Grund unserer Situation und Disposition.
Sei es Euphorie oder Verzweiflung, getrieben von Gier oder Panik, unser Grund zu handeln, ist das Ergebnis einer Vielzahl von Umständen zum Zeitpunkt der Entscheidung.
Demgegenüber steht das rationale Verhalten, zu dem wir Menschen nicht immer fähig sind. Dies verlangt Nüchternheit und Emotionslosigkeit eines Roboters. Wir homo sapiens sapiens können die Komplexität der meisten Entscheidungssituationen, mit denen wir täglich konfrontiert sind, nicht annähernd mit unserem Geist erfassen.
Jede relevante Information müsste herangezogen, wechselseitige Einflussfaktoren bewertet, Abhängigkeiten, Wahrscheinlichkeiten und Wirkungen bedacht werden, damit die Vernunft und Ratio entscheiden kann.
Nun mangelt es uns einerseits an Zeit und anderseits an der Fähigkeit, alle Informationen miteinander zu Verknüpfen.
Und selbst, wenn wir wüßten, wie alles miteinander zusammenhängt, so blieben die Unsicherheiten der Zukunft.
Hinzu kommt, dass keine Entscheidung – wissenschaftlich ausgedrückt- zeitstabil ist, denn Gegebenheiten ändern sich sekündlich. Was eben noch galt, kann morgen der Schnee von gestern sein.
Noch herausfordernder für uns ist es, blitzschnelle Entscheidungen zu treffen.
Zeitdruck ist in keiner Weise eine gute Basis für Rationalität.
Wir müssen Ressourcen schonend entscheiden. Die wichtigste Ressource ist Zeit, von dieser haben wir viel zu wenig und folglich filtern wir zwangsläufig. Damit wir unseren Alltag und die Fragen des Lebens bewältigt bekommen, verwenden wir vereinfachende Entscheidungsregeln – Heuristiken.
Heuristiken sind mentale Strategien, um mit geringem Aufwand und begrenztem Wissen zu einer praktikablen Lösung zu kommen – Faustregeln sozusagen, bewußt oder unbewußt angewandt.
Eine Trennung zwischen bewußten und unbewußten Heuristiken ist schwer möglich. Unsere Handlungen können aber verschiedenen kategorisierten Heuristiken zugeordnet werden, z B.:
- Verfügbarkeitsheuristik,
- Verankerungsheuristik,
- Repräsentativitätsheuristik.
Klar ist: Mit der Anwendung von Heuristiken erreichen wir nicht immer das optimale Ergebnis, aber seit Millionen von Jahren können wir uns auf unsere Überlebensstrategien, einprägt als Heuristiken verlassen.
Unsere drei Sinne waren zwar noch nie so gut, wie die der anderen Tiere. Adler, Hund, und Schlange sind spontane Beispiele für extrem geschärfte Sinne.
Allein auf unsere körperlichen Gegebenheiten angewiesen, würden wir in der Wildnis jämmerlich anderen, uns überlegenen, Raubtieren zum Opfer fallen. Unsere Muskeln und Zähne taugen wenig. Was uns Menschen an die Spitze der Nahrungspyramide katapultierte, war die Entwicklung unseres Gehirns.
Vor 7 Millionen Jahren trennte sich unser Stammbaum von den Schimpansen.
Unser Gehirn entwickelte sich von 400 cm3, was ungefähr dem Inhalt von 2 Kaffeetassen entspricht, zu unserem heutigen Volumen von 1200cm3.
Seit 150.000 Jahren hat sich unser Gehirn allerdings nicht mehr wesentlich verändert. Die Evolution nimmt sich ihre Zeit.
Wir sind somit zwar bestens konzipiert für das Leben in der Steinzeit. Herausfordernd wurde das Industriezeitalter, doch unsere digitale Welt bringt uns an kognitive Grenzen. Wir werden in Millisekunden bombardiert mit Bildern und Informationen selbst vom letzten Winkel der Erde.
Fehler bei Entscheidungen sind aus den vorher genannten Gründen also unvermeidbar.
Unser heutiges Dilemma fasst James Montier in seinem Buch „The Little Book of Behavioral Investment“ hervorragend zusammen: „Leaving the trees (or perhaps the ocean) may have been our first mistake, but certainly wasn’t our last“.
Irrationalität und impulsives Handeln sind in unserem Alltag eher die Regel als die Ausnahme.
Wie nehmen wir Risiken wahr, wie beurteilen wir, welche zu fürchten sind und welche wir ignorieren können und wie gehen wir mit ihnen um?
In den 1960er Jahren fingen Psychologen an, unser Handeln nach diesen Fragen zu analysieren. Daniel Kahnemann erhielt für seine Forschungen auf diesem Gebiet den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, denn spätestens seit dem wissen wir, dass wir gar nicht der Homo Oeconomicus sind, für den wir uns gerne halten.
Kahnemann’s erstaunliche Erkenntnisse haben unsere Sicht auf uns enorm verändert. Vor allem für unser Denken und Handeln bei der Geldanlage. Auch hier spielen unsere psychologischen Prädispositionen eine wichtige Rolle. Machen wir uns diese bewusst, können wir Fehler zwar nicht für alle Zeit ausschließen. Wir hinterfragen aber Ideen und Impulse bewusster. Das erhöht unsere Chance, potenzielle Fehlentscheidungen zu identifizieren und im besten Falle auch zu vermeiden.
Kahnemann und viele Verhaltensforscher seitdem haben für die in unserer Psyche verankerten Entscheidungsmuster den Begriff „Bias“ geprägt. Wir könnten das mit Voreingenommenheit oder Verzerrung übersetzen, bleiben der Einfachheit halber aber beim englischen Begriff. Diese Entscheidungsmuster werden als Untergruppe den verschiedenen Heuristiken zugeordnet.
Zu den bekanntesten Biases gehören1:
# 1 Ankersetzung
#2 Framing
#3 Verlustaversion
#4 Selbstüberschätzung (Overoptimism)
#5 Selektive Argumentation / Bevorzugung bestätigender Argumente (Confirmation Bias)
# 6 Urteilsbildung nach dem Anschein (Reprersentativeness)
#7 Mental Accounting
Die Liste ist noch längst nicht vollständig. Auf #1 – #4 soll hier näher eingegangen werden:
#1 Ankersetzung
Sind wir aufgefordert eine Schätzung abzugeben, tendieren wir dazu, uns an an einem Ursprungs- oder Richtwert zu orientieren. Solche gesetzten Anker nutzen wir oftmals als Ausgangspunkt unserer Beurteilung in einer Problembeschreibung.
Diese menschliche Neigung veranlasst uns dazu, irrelevante oder gar irreführende Information als maßgeblich zu betrachten. In der Folge treffen wir Entscheidungen auf eben dieser Basis: Irrelevanz. Ergebnis: Oft unbefriedigend.
Einer der unterhaltsamsten Experimente hierzu legte diese Schwäche auch bei vermeintlich professionellen Investoren offen2:
- Aufgabe 1: Notieren Sie die letzten vier Stellen Ihrer Telefonnummer.
- Aufgabe 2: Wie hoch schätzen Sie die Zahl der in London tätigen Ärzte?
Das Ergebnis dürfte die meisten von uns schwer überraschen:
Je höher die sich aus den letzten vier Stellen der Telefonnummer ergebende Zahl, desto höher die Schätzung bzgl. der Zahl von Ärzten in London!
In Geldangelegenheiten bedeutet das:
Sei stets aufmerksam, wie Dir eine Investition präsentiert wird. Nicht alles, was als Information daher kommt, hat eine Relevanz. Schon gar nicht auszuschließen, dass Dir bestimmte Informationen eben nur deshalb gegeben werden, um Dich in die eine oder andere Denk- und Entscheidungsrichtung zu lenken.
Vermutlich nicht unbedingt zu Deinem Vorteil!
#2 Framing
Ein „Frame“ ist ein Rahmen. Auch hier ist es durch zahlreiche Experimente demonstriert, dass unsere Entscheidungen stark davon abhängen, wie uns ein Problem präsentiert wird. Beispielsweise kommt es oft genug darauf an, ob ein Problem und dessen Lösung „positiv“ oder „negativ“ beschrieben werden.
Beispiel:
Zwei medizinische Behandlungen stehen zur Wahl.
Positives Framing (Überleben / Retten):
- 1/3 der Patienten kann gerettet werden
- Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 werden alle Patienten gerettet, während mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 kein Patient gerettet wird
In dieser Darstellung neigen die meisten zur Variante 1.
Wird das Problem jedoch anders dargestellt, ändern sich die Antworten:
Negatives Framing (Sterben / nicht überleben)
- 2/3 der Patienten überleben nicht
- Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 wird niemand versterben, während mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 alle Patienten versterben
Interessanter Weise wählen deutlich mehr Befragte in der positiven Darstellung (Überleben) die sichere Variante (1), während der Anteil der sicheren Variante in der negativen Darstellung (Sterben) deutlich sinkt.
In Geldangelegenheiten bedeutet das:
Sei auf der Hut, wie Dir Investmentmöglichkeiten dargelegt werden.
Es ist davon auszugehen, dass diese i.d.R. in einer positiven Art beschrieben werden (im obigen Kontext: „Überleben“).
Mache Dir bewusst, dass Du dadurch vermutlich unbemerkt zu einer bestimmten Entscheidung aus mehreren Möglichkeiten neigen könntest, die eben nicht die für Dich Beste sein muss.
#3 Verlustaversion
Eine der wohl am häufigsten zitierten psychologischen Fallen in Zusammenhang mit Investments ist unsere Abneigung gegenüber Verlusten.
Es ist wissenschaftlich wohl dokumentiert, dass uns Verluste im Allgemeinen spürbar unangenehmer sind, als uns gleich hohe Gewinne Freude bereiten:
100 € zu verlieren ärgert uns mehr, als dass wir uns über den Gewinn von 100 € freuen.
Ein Beispiel3 soll dies verdeutlichen:
Spiel 1: Sicherer Gewinn
Entscheide Dich.
a) Du bekommst sicher EUR 900.-
b) Du hast die Möglichkeit, in einem Glücksspiel mit
- 90% Wahrscheinlichkeit, EUR 1 000 zu gewinnen
- 10% Wahrscheinlichkeit, nichts zu gewinnen
Spiel 2: Sicherer Verlust.
Wofür entscheidest Du Dich?
a) Du verlierst sicher EUR 900.-
b) Du hast die Möglichkeit, in einem Glücksspiel mit
- 90% Wahrscheinlichkeit, EUR 1 000 zu verlieren
- 10% Wahrscheinlichkeit, nichts zu verlieren
Hast Du Dich beim Spiel 1 für die sichere Variante a und beim Spiel 2 für die risikoreiche Variante b entschieden? Dann teilst Du Deine Entscheidung mit rund 80% der Befragten.
Sie ist rational nicht erklärbar und zeigt die sogenannte Verlustaversion. Gewinne und Verluste werden von Investoren meist unterschiedlich eingeschätzt.
Bei Verlusten ist die Bereitschaft zu spielen viel grösser.
In Geldangelegenheiten bedeutet das:
Mache Dir bei Investmentalternativen klar, dass Du vermutlich wie die meisten anderen Menschen zu eben dieser Ungleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten (tatsächliche oder potenzielle) neigst. Diese Neigung beeinflusst Deine Entscheidung. Im Zweifel zu Deinem langfristigen Nachteil.
Verlustaversion wird beispielsweise nicht nur bei der Entscheidung über ein neues Investment schlagend.
Auch und gerade bei bestehenden Investments kann sie erhebliche negative Effekte auf Deinen langfristigen Vermögensaufbau haben. Denn viel zu häufig führt sie dazu, dass Du Gewinne voreilig realisierst und an der weiteren Entwicklung nicht mehr teilnimmst, während Du Dich schwer damit tust, Dich von enttäuschenden Investments auch tatsächlich zu lösen (Prinzip Hoffnung).
#4 Overoptimism
Eine der schädlichsten psychologischen Biases ist die Selbstüberschätzung. Viele, meist Männer, neigen dazu, die eigenen Fähigkeiten spürbar höher einzuschätzen, als diese tatsächlich sind. Kommt hier noch der Schein von Einfluss, Wissen und Kontrolle hinzu, kann dies zu grandios falschen Entscheidungen führen.
Das folgende einfache Beispiel aus dem Alltag verdeutlicht, wie die eigenen kognitiven Fähigkeiten und Kenntnisse überschätzen werden:
Versuchsteilnehmer werden gebeten, ihre eigenen Fähigkeiten beim Autofahren einzuschätzen. Das Ergebnis zeigte, dass 93% der Befragten sich als überdurchschnittlichen Fahrer einstuften.4
In Geldangelegenheiten bedeutet das:
Häufig überschätzen wir unsere Fähigkeit, den Lauf der Dinge zutreffend zu prognostizieren. Auch wenn wir wissen, dass unzählige Einflüsse das Ergebnis unserer Anlageentscheidung beeinflussen: Wir gewichten unsere Argumente weit höher, wir messen ihnen eine weit höhere Qualität zu, als der Vielzahl anderer, weniger vorteilhafter Möglichkeiten.
Ergo:
Hinterfrage jede Deiner Entscheidungen. Frage Dich vor allem ausdrücklich: Habe ich hier mehr Eigenfähigkeit und Wissen angenommen, als ich tatsächlich habe? Wo habe ich Gegenargumente ausgeblendet? Habe ich ausreichend berücksichtigt, wie wenig Einfluss ich auf die zukünftige Entwicklung habe? Oder tue ich bei meiner Entscheidung so, als wären die erfolgsrelevanten Dinge weitestgehend unter meiner Kontrolle?
Fazit
Von unserem Denken in Mustern können wir uns kaum befreien. Fondsmanager fallen auf diese Denkmuster ebenso herein, wie wir Privatanleger.
Keiner ist davor gefeit.
Herzrasen ist eben auch Kopfsache, dafür hat die Evolution gesorgt.
Den stoischen Idealzustand der Emotionslosigkeit zu verfolgen soll aber keinesfalls angeraten sein.
Vielmehr sollen wir wissen, dass unsere Intuition uns kostspielige Fehler bescheren kann.
So wird auch klar, worauf Warren Buffets mit seinem Satz „Investing is simple but not easy“ abzielte:
Auf unserer intuitives und irrationales Verhalten!
Doch sind wir unserem Schicksal nicht ausgeliefert. Wir können dazulernen.
Wenn wir also wissen, was wir vermeiden sollten, dann können wir daran arbeiten, unsere Gewohnheiten zu verbessern.
Ist unser Bewusstsein erst einmal geschärft, stehen die Chancen gut, dass wir zukünftige Entscheidungen auch dahingehend überprüfen, ob und wie diese eventuell von unseren verschiedenen Biases geprägt sind.
Ergebnis: Bessere, weil weniger verzerrte, Entscheidungen und erfolgreichere Geldanlage!
Anmerkungen:
Bei den hier näher beschriebenen Biases handelt es sich nur um eine kleine Auswahl.
Eine umfassende und sehr empfehlenswerte Behandlung des Themas, findet sich im Buch “Behavioural Investing“ von James Montier.
Weniger umfangreich, aber sehr lesenswert ist das Buch „The Little Book of Behavioural Investing“ vom selben Autor..
Natürlich ist die Zusammenfassung der Forschungen Daniel Kahnemanns in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ bereits zum Standardwerk geworden.
1 James Montier, „Behavioural investing“, Wiley Finance, 2007, S. 79 ff. ; 2 James Montier, „Behavioural investing“, Wiley Finance, 2007, S. 87; 3 Richard H. Thaler, „Misbehaving“. W. W. Norton & Company, 2015, S. 33.; 4 James Montier, „The little Book of Behavioural Investing“, Wiley, 2010
Bildquelle: CherylRamalho, Andrea Izzotti, Alexander Sviridov, jakkapan, Bartlomiej K. Wro/Shutterstock.com; „Succulent“ by Garden State Hiker is licensed under CC BY 2.0.