Die Zentralbank der USA als Taktgeber
„Inflation ist dann, wenn alle Leute darüber reden, bzw. Inflation ist dann weg, wenn keiner mehr darüber spricht.“
Das hörte ich kürzlich in einem Podcast und so formulierte es der ehemalige stellvertretende Zentralbankvorsitzende der USA, Alan Blinder.
Keine Frage: Die Inflation ist da.
Die Medien sind voll von Berichten, unsere Regierung kommt zu Krisentreffen zusammen, die EZB rief zur Notsitzung.
„Wie mit der hohen Inflation umgehen“, wird gefragt.
Das klingt, als käme die Inflation plötzlich aus dem Nichts.
Nach „Transitorischer Inflation“, also vorübergehender, wie es noch im Herbst hieß, wird sie nun als „strukturelles Phänomen“ bezeichnet. Es beginnt, dass sich die Debatte um Preise in unseren Köpfen festsetzt.
Heute sehen wir die Auswirkungen an allen Ecken. Ich zum Beispiel beim staunenden Blick auf den Preis eines Päckchen Butter beim Einkauf, oder bei der Materialrechnung des Elektrikers. Wir sind mit Preisen konfrontiert, die noch vor wenigen Jahren als „Wucher“ empfunden worden wären. Die dicke Rechnung dürfte für so einige dabei erst noch kommen.
Reihenweise haben Energieversorger bereits Preise für Strom und Gas angehoben, bzw. dies angekündigt. Es steht zu erwarten, dass das noch nicht das Ende ist.
Dabei könnten die offiziellen Inflationszahlen von aktuell 8,6% gar noch untertrieben sein. Der sogenannte „Warenkorb“, der der Berechnung dieser Zahlen zugrunde liegt, ist eben nur ein nahezu beliebig zusammengestellter Korb von Waren und Dienstleistungen in bestimmten Anteilen, der einen „durchschnittlichen Verbraucher“ repräsentieren soll. Doch wer von uns ist schon Durchschnitt?
Die EZB und die Politik verweisen gerne auf den inflationären Effekt des Ukrainekrieges.
Das ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Doch die große Mehrheit der Rohstoffe, von „A“ wie Aluminium bis „Z“ wie Zinn begannen ihre eindrucksvollen Preissteigerungen schon lange vor diesem Ereignis. Der Ukrainekonflikt ist also bestenfalls ein zusätzlicher Beschleuniger, nicht aber die eigentliche Ursache:
Über Jahre hat die EZB den Markt mit ultrabilligem Geld geflutet.
Doch was passiert, wenn zwar mehr Geld im Umlauf ist, aber keine Waren, die man damit kaufen kann? Die Angebotsengpässe liegen unter anderem an Lieferknappheit aus China und mangelnden Rohstoffen.
Im sehr unterhaltsamen Buch „Die Geschichte der Wirtschaft“ von Nikolaus Piper – ein Buch, das ich bedingungslos für Kinder ab 12 Jahren empfehlen kann und für uns Erwachsene allemal – wird auf das Königreich Spanien im 15. Jahrhundert verwiesen.
Das immense „Raubgold“ aus Südamerika bescherte dem spanischen Adel einen phantastischen Reichtum. Sie schufen jedoch keine zusätzlichen Waren zu diesem Geld. Die fehlende höhere Wirtschaftsaktivität wirkte zwangsläufig preistreibend und die ärmeren Schichten Spaniens erlebten eine ernüchternde Inflation.
Die jüngste Erinnerung an Inflation in Europa liegt 50 Jahre zurück.
In den siebziger Jahren stieg die Inflation nach der Ölpreiskrise als Folge des Jom-Kippur-Krieges stark an.
Die heutige Inflation ist anders, denn sie kommt nicht ausschließlich von höheren Energiepreisen. Eine breite Angebotsknappheit treibt die Preise.
Und noch viel wichtiger:
Unsere Realrenditen, also die Zinsen nach Abzug der Inflation, liegen deutlich im Minus.
Damals in den Siebzigern waren die Realzinsen positiv und die Staatsverschuldungen deutlich geringer.
Paul Volcker, der Fed-Chef in dieser Zeit, beendete die Inflation, in dem er die Zinsen auf 17% setzte. Das erscheint heute völlig undenkbar.
Wieviel Zins verträgt der Euro? Länder wie Italien, Spanien, Portugal, etc. könnten bei spürbar höheren Zinsen leicht aus den Angeln gehoben werden. Zu viele Volkswirtschaften mit ganz unterschiedlicher Leistungsfähigkeit sind im Euro zusammengehalten.
Die EZB verfolgt laut Ihrem Statut ein Inflationsziel von 2%.
Aktuell wurde mit 8,6 % eine Teuerung 4mal so hoch publiziert.
Nur deutlich höhere Zinsen würden noch wirken, die Inflation zurückzuschrauben.
Doch da liegt der Hund begraben und wohl bald die Glaubwürdigkeit der EZB.
Die Zentralbanken sind im Dilemma: Entweder sie würgen die Konjunktur durch höhere Zinsen ab, oder sie nehmen bei Untätigkeit weitere gravierende Preissteigerungen in Kauf. Mehr als die Wahl zwischen Pest und Cholera gibt es nicht. Die sich abschwächende Globalisierung wird zu niedrigerer Produktivität und höheren Kosten führen. Die „Geschichte der Wirtschaft“ hat auch dafür unzählige Beispiele parat.
Heute ist es nicht anders und doch mit neuen Voraussetzungen:
Der Wegfall der billigen Energie und Rohstoffe aus Russland wird der Inflation einen weiteren Schub verpassen.
Die Versuche den Klimawandel aufzuhalten, sind ebenso ein kostentreibendes Unterfangen.
Die „grüne Energiepolitik“ in Europa mit engen Vorgaben für Banken bei der Kreditvergabe nach ESG-Standards verschlechtert die Lage zusehends.
Denn klar ist: Wer von Kapitalversorgung abgeschnitten wird, wie nahezu alle Unternehmen im Bereich fossiler Energieträger, wird es zunehmend schwer haben, an Kredite zu kommen und muss Ausgaben reduzieren – eben auch bei Erschließung neuer Energiequellen, mit denen wir eigentlich zukünftig unabhängig sein wollen. Wir müssen uns also nicht wundern, dass das Angebot an vielen Rohstoffen knapp und der Preis dafür hoch ist. Auch ohne Ukraine.
Fazit:
Die EZB und die anderen großen Zentralbanken haben über mehr als zehn Jahre lang Geld in das (Finanz-)System gepumpt und die dortigen Preise aufgebläht. Die Politik hat, zwar aus hehren Zielen, aber wenig strategisch, eine „Hau-Ruck“-Energiewende auf den Weg gebracht.
Einiges spricht deshalb dafür, dass die Inflation uns vorerst weiter begleiten wird, egal was Politik und Zentralbanken uns erzählen möchten und gleichgültig, welche Maßnahmen sie ergreifen, um, auch zur Wahrung des sozialen Friedens, die Lasten zumindest teilweise zu neutralisieren.
Die Preistreiber bleiben Dekarbonisierung, Deglobalisierung und der demographische Wandel.
Was heißt das nun für unsere Vermögenswerte:
- Auch bei steigenden Zinsen bleiben Zinsanlagen wie z.B. Bundesanleihen, unattraktiv, solange die Realrendite, also Zins abzgl. Inflation, deutlich negativ sind. Erst wenn wir ernsthafte Anzeichen sehen, dass Inflationsraten und Inflationserwartungen wieder ab-, statt zunehmen, kann über Anleihen ernsthaft nachgedacht werden.
- Unsere heimische Währung erreicht gegenwärtig lange nicht mehr gesehene Tiefstände – sie verliert also kräftig an Wert. Solange unsere strukturellen Probleme nicht wirklich angegangen werden, bleibt der Euro anfällig. Diversifikation in andere Währungen wird deshalb wichtiger.
- Unsere Aktienanlagen könnten bei anhaltender Inflation vor einer schwierigeren Zeit stehen. Nach Jahren zweistelliger und damit überdurchschnittlicher p.a.-Zuwächse sollten wir alle nicht überrascht sein, wenn nun eine Zeit kleinerer Erträge anstünde. Fehlen Kursgewinne, kommt dem laufenden Ertrag, der Dividende, eine noch größere Bedeutung zu. Aktien aus Ländern und Branchen, deren Ergebnisse vom Inflationsumfeld und steigenden Zinsen zumindest weniger stark beeinflusst werden, dürften die relativen Gewinner sein.
- Auch wenn viele Rohstoffe nach über zwei Jahren kräftiger Gewinne zur Zeit Preiskorrekturen hinnehmen müssen: Die strukturellen Faktoren sprechen für Rohstoffe – Jahrelange Unterinvestition in Förderkapazitäten, Ausschluss großer Angebotsquellen vom globalen Markt (Russland) und nicht zuletzt die allenthalben propagierte Energiewende. Gerade diese gehen nicht ohne erheblichem Materialeinsatz, womit sich der Kreis schließt. Länder mit hohen Rohstoffvorräten kommen weiter in den Fokus: Australien, Chile, Peru, Südafrika, etc.
- Unsere Immobilien, die über die vergangenen Jahre von der endlosen Liquiditätsflut profitiert haben, treten nun womöglich ebenso in eine neue Marktphase ein. Doch solange die Zinsen nicht unkontrolliert steigen, haben viele Investoren gerade bei hohen Inflationsraten, d.h. negativen Realzinsen, weiterhin einen Anreiz, das Geldentwertungsrisiko durch Kreditaufnahme an ihre Banken weiterzureichen. Vernünftige Objekte in den wichtigsten Ballungszentren dürften deshalb verhältnismäßig „safe“ sein. Anders kann es allerdings in den Randlagen und bei jenen Objekten aussehen, die bis dato praktisch ohne Rücksicht auf den Preis erworben wurden. Hier liegt vermutlich in der Tat eine Spekulationsblase vor, die bei steigenden Zinsen früher oder später platzen muss.
Gewiß ist: das Umfeld für unser Vermögen ist anspruchsvoll wie schon lange nicht mehr. Angst war aber noch nie ein guter Ratgeber bei Finanzentscheidungen.
Sie soll uns nicht in Schockstarre versetzen:
Langfristiges Planen mit einer soliden Strategie hilft auch solche Wirtschaftsphasen durchzustehen.
Hope for the best, plan for the worst.
Bildquelle: https://wordpress.org/openverse/image/16dd5af1-ed3c-4261-9b65-b08caa2f77ac